Viel Spaß bei der Leseprobe aus meinem Roman „Hoch Steigen“.
Eigentlich wollte ich nicht auf dieses blöde Sommerfest. Eigentlich wollte ich nach der stressigen Woche mein freies Wochenende genießen, aber ich bin hier einfach so hineingestolpert. Oder eher hineingezogen worden. Nämlich von Carlos. Er stand vor etwa zwei Stunden bei Miri und mir auf der Matte und wollte uns überreden, mitzukommen. Uns davon überzeugen, dass es gar nicht so blöd ist, wie alle immer sagen.
Miri hat sich erfolgreich herausgeredet und verbringt wahrscheinlich gerade einen entspannten Abend auf der Couch mit Chips und Popcorn.
Und ich? Na ja, ich kann nicht so gut Nein sagen. Zumindest nicht bei Menschen, die wie eine Familie für mich sind. Das ist jetzt die Strafe dafür.
Ohne mich vorher fertiggemacht haben zu lassen, zog Carlos mich aus der Tür bis hin zu seinem Auto. Ich war schneller auf diesem Fest – das übrigens doch so schlecht ist, wie alle immer sagen – als ich gucken konnte.
In der Partyhütte ist es nicht wirklich geschmückt. Sehr rustikal. Die Lampen sind nicht mehr als nackte Glühbirnen, aber es passt durchaus zu dem ganzen Holz und den alten Möbeln.
»Meine letzte Party war mein Abschlussball.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und sehe Carlos vorwurfsvoll an.
Er steht neben mir und lässt seinen Blick über die Menschenmenge schweifen. »Dann wird es Zeit.« Er grinst. »Dass du mal wieder etwas erlebst, was außerhalb deiner Arbeitszeit liegt.«
»Ich habe genug erlebt, als ich auf meinem Abiball auf die Schuhe von Stufenschwarm Alexander gekotzt habe.«
Carlos blinzelt zweimal, ehe er in schallendes Gelächter ausbricht. »Du hast jemanden angekotzt?«
»Ich hatte damals nicht wirklich eine Wahl«, entgegne ich. »Entweder Abi-Abschluss mit Menschen, die ich nicht leiden konnte, oder die Geburtstagsfeier des damaligen Freundes meiner Mutter, den ich mindestens genauso scheiße fand. Not gegen Elend.«
»Und du hast dich für das kleinere Übel entschieden?« Carlos legt seine Hand um meine Taille und manövriert mich zur Bar.
Ich setze mich auf den Barhocker und drehe mich zur Theke, auf der ich meine Unterarme ablege.
»Ich habe mich dazu entschieden, mich auf diesem Ball zu besaufen, mir eine Ohrfeige von Alexander abzuholen und schlussendlich sturzbetrunken in der Notaufnahme auf meine Mutter zu warten.«
Ich denke an die Pflegerin in der ZNA zurück. Sie war so nett, dass mein Berufswunsch seitdem feststand. Mein Werdegang ist etwas originell, stelle ich gerade fest.
Carlos winkt den Barkeeper zu uns.
»Willst du dich nicht setzen?« Ich deute auf den freien Stuhl neben mir.
»Ich suche noch jemanden«, erwidert er und sieht sich um.
»Du zerrst mich gegen meinen Willen hierher und dann lässt du mich alleine?«
»Du bist doch gut darin, Kontakte zu knüpfen oder nicht?« Er bestellt zwei Cocktails.
Nachdem wir unsere Bestellung erhalten haben, drückt Carlos sanft meine Schulter: »Entschuldige mich kurz.«
Er drängt sich durch einen Pulk Pflegekräfte, die ich von einer anderen Station kenne, und läuft geradewegs auf den Eingang zu, wo er jemanden mit einem Handschlag begrüßt.
»Super.« Ich sitze am Tresen auf einem unbequemen Hocker und starre in meinen erbärmlichen Cocktail. Das Eis ist schon geschmolzen und die einsame Limette sieht traurig aus in diesem wahnsinnig schlechten Mojito.
Das Whiskeyglas schwappt leicht über, als es neben meinen Cocktail gestellt wird. Ich folge dem Arm, der an dem Glas hängt, und sehe in Pauls Gesicht. Ich habe nicht damit gerechnet, ihn hier zu treffen.
Er lässt sich neben mich auf den Barhocker sinken und sieht mich fragend an. »Was treibt Sie auf dieses schreckliche Sommerfest?«
Ich mustere ihn neugierig. Dunkle Jeanshose und ein weißes Hemd, die oberen Knöpfe geöffnet. Er riecht nach Orange und Vanille. Ein leichter Duft.
Ich seufze: »Ich bin nicht freiwillig hier. Aber wäre ich das, dann wäre die Antwort wahrscheinlich Flucht. Und Sie?«
Er nippt an seinem Glas. »Auch.«
»Wieso?« Ich spiele an dem Armband an meinem Handgelenk herum.
»Ich habe eine siebzehnjährige pubertierende Tochter, die eigentlich gar nicht hier sein will. Noch Fragen?«
»Ne.« Ich nehme einen Schluck von meinem Cocktail und verziehe das Gesicht. Je länger er steht, desto schlimmer schmeckt er.
»Und wovor fliehen Sie?« Sein Blick wandert zu mir herüber und mustert mich. Wahrscheinlich fragt er sich, warum ich eine olle Jeans und einen viel zu großen Pulli anhabe. Es ist nicht so, dass es für einen Pullover zu warm ist, aber es ist nun mal kein Feier-Outfit. Sondern ein Ich-chille-auf-dem-Sofa-Outfit. Immerhin trage ich einen BH.
Wovor ich fliehe … Vor Daniel wäre eine ehrliche Antwort. Oder eher vor meinen Gedanken an Daniel. Davor, dass ich hin-und hergerissen bin. Dass meine Gefühlswelt zwischen Liebe meines Lebens und größter Fehler meines Lebens schwankt.
Eigentlich möchte ich ihm nicht die Wahrheit sagen. Schließlich ist er nicht mehr als ein Kollege. Geht ihn das alles etwas an? Und ich möchte kein Mitleid. Ich möchte nicht diesen Blick, den man jemandem zuwirft, wenn man nichts mehr fühlt außer Trauer für sein Gegenüber.
»Vor der schnulzigen Liebesromanze, die ich mit Miri hätte schauen müssen. Sie hat die Macht über die Fernbedienung.« Ich lächle amüsiert. Ob er mir die Story glaubt? »Dann schaue ich mir lieber hier die betrunkenen Pflegekräfte an, die verzweifelt versuchen, einen Arzt aufzureißen«, füge ich hinzu. »Noch Fragen?«
»Ne.« Er nimmt einen Schluck von seinem Whiskey. Der Duft schwappt zu mir herüber. Ich habe noch nie Whiskey getrunken und wenn ich diesen erdigen Duft rieche, scheine ich nichts verpasst zu haben. Vor allem, wenn er so schmeckt, wie er riecht.
Ich grinse und dann leere ich mein Glas in einem Zug. Bloß weg mit dem Ekelzeug.
»Du sitzt ja auf dem Trockenen!« Carlos legt mir seine Hände auf die Schultern und rüttelt mich. »Noch mal das Gleiche?« Noch bevor ich einschreiten kann, bestellt er mir einen weiteren Mojito und verschwindet wieder. Scheinbar hat er es sich zur Aufgabe gemacht, mich bei Laune zu halten. Und scheinbar ist seine Ansicht, dass dies nur mit Alkohol funktioniert.
Ich sehe Carlos nach. Er steht neben der kleinen Tanzfläche an einem Tisch und unterhält sich mit einigen Jungs, die im Labor arbeiten. Die Schlagermusik dröhnt nur leise aus den Boxen – zum Glück! Wieso tut man sich freiwillig Schlager an?
Ich bin erstaunt darüber, dass ziemlich viele Leute aus der Klinik da sind. Sie verteilen sich gut auf der Tanzfläche, an der Bar und am Buffet, sodass es nicht überfüllt ist. Ich kann enge Räume mit zu vielen Leuten nicht leiden. Am besten tritt man sich dann noch auf den Füßen herum und man kann den Schweiß des jeweils anderen so richtig tief einatmen. Ätzend.
Eigentlich hätte ich mich lieber vor die Location in den Sand gesetzt. Der See, der die Partyhütte sichelförmig umschließt, ist beinahe malerisch. Allerdings hat mich Carlos so schnell in die Hütte gedrängt, dass ich keine Möglichkeit hatte, mir einen Sitzplatz draußen zu suchen.
»Sie sind mit Carlos hier?«
Pauls Frage reißt mich aus meinen Gedanken. Ich lache. Denkt er wirklich, ich habe ein Date mit Carlos?
»Nein. Also ja, aber eher unfreiwillig. Er wollte mich überzeugen, dass dieses Sommerfest nicht so doof ist, wie alle immer behaupten. Kurzum: Ich kann nicht Nein sagen.«
»Das ist keine gute Eigenschaft«, kommentiert Paul und leert ebenfalls sein Glas. Er hebt kurz die Hand und der Barkeeper nickt. Kurz darauf bekommt er einen weiteren Whiskey.
»Und was ist Ihre schlechte Eigenschaft? Außer den vielen, die mir einfallen natürlich.«
»Sie haben schlechte Eigenschaften an mir entdeckt?« Paul zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich.
Ich kichere. So viel Humor habe ich dem Granitklumpen gar nicht zugetraut. »Jetzt im Ernst, Doktor Ernst. Was treibt Sie wirklich her?«
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